…vor einer woche hat diese meldung die professional-audio-welt recht durcheinandergewirbelt: Dolby (D) und Coding Technologies (CT) sind in großen segmenten von “audiokodierung für die distribution zum endkunden” erbitterte konkurrenten, besonders im surround-sound / HDTV / Set-Top-Boxen markt. nun warten alle auf auswirkungen, abseits des breaking-news wertes hier der versuch einer analyse der möglichkeiten:
1) Lizenzgefüge
D+CT hatten schon bisher überraschend enge geschäftsverbindungen. CT als offspring des fraunhofer-institutes in kooperation mit Philips lizenzierte die “alten” mp3-pro, mp3-surround und layer-2 (SBR) codecs, die “mittelalte” entwicklung MPEG2-AAC und MPEG4-AAC, HE-AAC und AAC-Plus version 1 liefen über eine Dolby-Tochter (VIA Licensing).
Die neueste Entwicklung AAC-Plus Version 2 (mit SBR und PS) hat dann wieder CT selbst vermarketet, und genau dieser Code wurde in den letzten Jahren für die neuesten Plattformen wie Digital Radio Mondiale, DAB+, DVB-H und HD-Radio gepusht. Schon bei diesem Lizenz-Wirrwarr war jedoch klar, dass die beiden firmen nicht nur konkurrenten sind, sondern hinter den kulissen abmachungen bestehen.
2) Codecs für die Distribution
besonders im aktuellen kampf um den haupt-audio-codec für HDTV standen D+CT dann wieder in opposition. D mit Dolby Digital Plus auf der einen, CT mit AAC+V2 auf der andere seite, nutzten jeden hörtest zur vermeintlichen selbstprofilierung, zum gefecht, wer mit noch niedrigeren bitraten noch mehr mittelmäßiges surround-audio auf die hifi-anlage bringt. Vermeintlich hat hier CT einen Sieg kurz vor dem Ausverkauf davongetragen, da bei sehr niedrigen bitraten tatsächlich AAC+V2 besser als DD+ abschneidet, bei näherer betrachtung zeigt sich jedoch, dass unter 448kb/s jeder codec bei komplexen stochastischen signalen schwächen aufweist. sendet man schon einige Mb/s für HDTV-Bild, sollten die paar bits für wirklich guten surround-sound auch nicht mehr ins gewicht fallen…
3) Die letzten Zentimeter
Großes problem für CT waren immer die letzten kabelzentimeter zwischen STB und surround-sound-hifi-anlage. da die dekoder in diesen anlagen weit hinter dem entwicklungstempo der Set-Top-Boxen hinterherhinken (und eine teure HIfi-Anlage einfach viel länger behalten wird als eine STB…), würde dieser AAC+V2-stream in der STB verhungern, und nur als analog-stereo, digital-stereo oder 6xAnalog (doch wer hat schon 6xAnalog-In an der Hifi..) ausgebbar sein. Dolby hat mit dem klassischen Dolby-Digital-Dekoder im HiFi-Segment definitiv die allergrößte installierte Gerätebasis, doch diese wollte CT bisher nicht als transportprotokoll benutzen.
daraus entstand vor einem jahr das (für techniker eigentlich schauderhafte) konstrukt einer mehrfach-codierkette: AAC+V2 wird in der STB auf DTS umkodiert, per digitalkabel ausgeliefert, und in der HIfi-Anlage dann mit dem (hoffentlich integrierten) DTS-Dekoder endlich zu gehör gebracht.
DTS? ach ja, da gibts ja noch wen: DTS war und ist auf DVD der einzige große gegenspieler von Dolby. mit deutlich höherer bitrate (1500kb/s anstatt wie bei Dolby mit 448kb/s) wird ein etwas besserer klang erzeugt. DTS konnte sich auf DVD zwar halten und macht auch auf Blue-Ray und HD-DVD Dolby konkurrenz, in den aktuellen streits um die HDTV-distribution sich aber nicht wirklich positionieren. deshalb sah man es zwar als technische krücke, doch interessanten schachzug, dass sich die beiden Dolby-Konkurrenten CT und DTS unter eine decke legten. speziell diese interessensgemeinschaft ist nun natürlich von der auslöschung bedroht.
4) Globale Parameter
CT als schwedische firma hatte schon immer mehr support in europa als in nordamerika, auch DTS (obwohl in den USA beheimatet) wurde auffallennd oft von schwedischen und norwegischen rundfunkanstalten Dolby vorgezogen. Dolby als originär nordamerikanische ikone und big-player wurde oft (ähnlich Microsoft und Intel in der IT) bewusst als “böse” gegen die “guten kleinen” CT und DTS dargestellt. auch in dieser hinsicht bröckeln mit der übernahme die fronten, nun gibt es keinen klar als europäisch einzuordnenden marktbeweber mehr.
5) Fazit
Dolby wird mit diesem Zukauf wesentlich gestärkt, DTS stark geschwächt. Die Achse AAC-DTS wird ziemlich sicher ablaufen, interessant ist, dass schon einige broadcaster im produktiv-einsatz auf diese kombination einsetzen. hier wird man wohl zähneknirschend akzeptieren müssen, dass an der SPDIF-buchse nun Dolby Digital (+) anstatt DTS herausfällt. Der AAC+V2 Algorithmus dagegen wird sicher nicht aufgelassen werden. zu viele normungen , recommendations, applikationen uns dsp-codes implementieren dieses verfahren, auch aus kartellrechtlichen gründen wird es für Dolby besser sein, einen “virtuellen” konkurrenten vorweisen zu können. MPEG-2-surround wird wohl sterben (adieu DAB-Surround…), ebenso mp3pro und mp3surround. Jedenfalls kan sich Dolby aber einige häppchen aus dem wissensschatz der CT-ingenieure zur optimierung ihrer eigenen algorithmen herauspicken.
Das lizenzgeld verbleibt nun jedenfalls bei Dolby, bei der masse an enduser-decodern mit AAC in den nächsten jahren und jahrzehnten (APPLE ITUNES!!! DVB-H!!! HDTV-STB!!! DAB+!!! DMB!!! DRM!!! SIRIUS-XM!!!) ein stattlicher business-case (die 250 Mio übernahme-cash erscheinen mir da ohnehin zu gering…). Europa verliert jedenfalls einen aus der tradition des fraunhofer institut kommenden rechte-inhaber hochwertigen spezialwissens…